„Perspektive Europa – Warum sich so viele Menschen aus Afrika auf den Weg machen.“

„Perspektive Europa“ – Veranstaltung über Migration in und aus Afrika

Pröll: Herausfordernde Situation, die mit Angst und Hetze nicht bewältigt werden kann

Große Resonanz bei Club Niederösterreich-Vortrag von Gerald Faschingeder und anschließender Diskussion im Februar 2019 im Raiffeisenhaus Wien zur Frage nach den Ursachen, warum sich Menschen in Afrika auf den Weg nach Europa machen; Club-Präsident Erwin Pröll und stv. Raiffeisen-Generaldirektor Reinhard Karl als Gastgeber und interessierte Zuhörer.

„Oberflächlichkeit, Populismus und Nationalismus, wie wir sie in Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration derzeit erleben, helfen uns nicht, die Situation zu verstehen und noch viel weniger mit ihr auf sinnvolle Weise umzugehen. Vielmehr braucht es einen Paradigmenwandel in der Entwicklungshilfe, globale Kooperationen, Empathie und viel mehr Wissen um Hintergründe und internationale Zusammenhänge“, zeigte sich der Präsident des Club Niederösterreich, Erwin Pröll, anlässlich des Vortrages „Perspektive Europa“ von Gerald Faschingeder überzeugt. Auch wenn ein Großteil der Wanderungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent selbst ende, so handle es sich bei der Migration aus Afrika nach Europa um eines der großen Zukunftsthemen. Grund genug für den Club Niederösterreich, sich damit auseinanderzusetzen, betonte Pröll einleitend. „Als Gründungsmitglied und langjährige Partnerin des Club Niederösterreich ist es für die Raiffeisenfamilie geradezu eine Selbstverständlichkeit, Gastgeberin dieser hochkarätigen Veranstaltung zu sein. Dies umso mehr, als die gewählte Thematik von hoher Brisanz ist und mit Gerald Faschingeder eine beeindruckende Persönlichkeit als Vortragender gewonnen werden konnte“, erklärte der stellvertretende Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank Niederösterreich Wien, Reinhard Karl.

Gerald Faschingeder, Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Leiter des Paulo Freire Zentrums für transdisziplinäre Entwicklungsforschung und dialogische Bildung, bestätigte, dass rund zwei Drittel der weltweiten Migration nach wie vor im regionalen Rahmen stattfinde und in den meisten Ländern Europas, darunter auch Österreich, die Zuwanderung aus Afrika bedeutend geringer sei, als man aus der öffentlichen Debatte schließen könne. Dennoch: Allein schon die Tatsache, dass Prognosen zufolge im Jahr 2050 eine knappe halbe Milliarde relativ alter Europäer/innen rund 2,5 Milliarden relativ jungen Menschen aus Afrika gegenüberstehen werden, mache deutlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Faktoren, die zu Flucht und Migration führen, unabdinglich sei. Pull-Faktoren seien soziale und ökonomische Sicherheit, Frieden und Rechtssicherheit sowie familiäre Netzwerke zwischen Afrika und Europa, als wesentliche Push-Faktoren nannte Faschingeder Kriege, politische Instabilität, Verfolgung und Diskriminierung genauso wie demografische Probleme, Naturkatastrophen, Klimawandel und Armut – Faktoren, die er am Beispiel mehrerer afrikanischer Länder und insbesondere Nigerias erörterte.

Europas Mitverantwortung

Ein Gutteil der Migrationsursachen stehe auch in direktem Wechselspiel mit der europäischen Gesellschaft, der Geschichte und der Politik europäischer Länder. So etwa zeige der Kolonialismus immer noch Wirkung, eine Folge etwa seien historisch gewachsene Netzwerke, und mache der – weitgehend von der nördlichen Halbkugel verursachte – Klimawandel ganze Landstriche zunehmend unbewohnbar. Einseitige Handelsabkommen und -verträge wiederum zerstören häufig lokale Wirtschaftskreisläufe. So etwa können örtliche Geflügelproduzenten mit Dumping-Exporten von Fleischteilen, die der europäische Markt nicht braucht, nicht mithalten. Auch die Fischereiabkommen zwischen der EU und insbesondere westafrikanischen Staaten wirken sich negativ auf die Erwerbsmöglichkeiten der Menschen in den betroffenen Ländern aus. Nicht selten führe die daraus resultierende Arbeitssuche andernorts insbesondere Frauen in die Zwangsprostitution nach Europa. Schätzungen gehen davon aus, dass rund drei Viertel der 11.000 nigerianischen Sexarbeiterinnen in Österreich Opfer von Menschenhandel sind. Die größte Müllhalde Europas wiederum befindet sich in Ghana, wo Elektroschrott aller Art legal und auch illegal entsorgt wird und eine ökologische wie auch soziale Katastrophe verursacht. Die Liste der Verstrickungen von europäischer Mitverantwortung könne, so Faschingeder, noch fortgesetzt werden.

Lösungsansätze: Engagement auf allen Ebenen gefragt

So vielfältig die Migrationsursachen sind, so vielschichtig gelte es schließlich auch Lösungen anzustreben. Dazu gehöre es, sich von stereotypen Afrika-Bildern zu lösen und im Sinne echter Partnerschaften afrikanische Initiativen und Netzwerke zu unterstützen, die insbesondere eine Verbesserung der Lebensqualität anstreben. Es gelte, die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu stärken und auf Augenhöhe mit den Akteuren vor Ort voranzutreiben, insbesondere was den Ausbau der Infrastrukturen und die Förderung lokaler Wertschöpfungsketten angehe. Handelsabkommen im Rahmen der WTO müssen so getroffen werden, dass sie nicht zu De-Industrialisierung, Verlust an Arbeitsplätzen und Souveränität, Kapitalflucht, ökologischer Zerstörung und noch größerer Armut führen.

„Ganz wird man die Wanderungsbewegungen von Afrika nach Europa auch bei größtmöglichem Engagement, von dem wir ohnedies weit entfernt sind, freilich dennoch nicht eindämmen können. Und angesichts der demografischen Herausforderung, vor der Europa steht – Stichwort Bevölkerungsrückgang und Überalterung – wird Zuwanderung allen populistischen Zurufen zum Trotz in ganz Europa nötig sein. Ein Teil davon kann und wird aus Afrika stammen“, resümierte Gerald Faschingeder abschließend.

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